Der Junge vom Knack - Ein Leben in vier deutschen Staaten

Der Junge vom Knack

Kindheit in der Weimarer Republik, Jugend im Nationalsozialismus, das Arbeitsleben in der DDR und der Lebensabend im wiedervereinigten Deutschland - das sind die Eckdaten eines erfüllten und bewegten Lebens, das den Autor vom Knack, einem einsamen Waldstück in Sachsen-Anhalt, in das wirtschaftliche Zentrum des Kalten Krieges führte. Der Autor erzählt in seinem schnörkellos geschriebenen Lebensbericht exemplarisch ein Stück deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er berichtet authentisch von der Versuchung Jugendlicher durch die totalitäre Ideologie des Nationalsozialismus, von den Hoffnungen junger Menschen nach dem Krieg in die sozialistische Utopie in der noch jungen DDR, von der Desillusionierung und vom Scheitern von Politik und Wirtschaft der DDR an den Idealen dieser Utopie und im Kampf der Systeme. Mit der Schilderung seiner langjährigen Tätigkeit als leitender Forscher im Halbzeugwerk Auerhammer, einem der ältsten, heute noch arbeitenden Industriebetriebe Deutschlands, beschreibt der Autor ein fast vergessenes Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte. Er berichtet von den Bemühungen der DDR, die wirtschaftlichen Folgen der "CoCom-Liste" genannten Embargoliste des damaligen "Koordinationsausschusses für Ost-West-Handel" zu umgehen, indem darin gelistete Werkstoffe noch einmal erfunden bzw. entwickelt wurden. Ohne die Arbeit des Autors und seiner Kollegen in Auerhammer hätte es in der DDR keine foto- und thermoelektrischen Komponenten, keine Mikroelektronik und keine Fernsehbildröhren gegeben, die dafür erforderlichen Werkstoffe wurden in Auerhammer unter der Leitung des Autors in der Forschung entwickelt und als Halbzeuge im Betrieb produziert. Das Buch ist nicht nur der Rückblick auf ein bewegtes Leben, sondern ein authentisch erzähltes Zeugnis der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Mein Vater Rudi Kupfer wurde am 22. Mai 1927 in Burgkemnitz als sechstes und jüngstes Kind von Martha und Wilhelm Kupfer geboren. Anlässlich seines 75. Geburtstags richtete er am 25. Mai 2002 in der Gaststätte "Waldfrieden" in Aue-Neudörfel eine große Feier aus, zu der die ganze Familie und viele ehemalige Arbeitskollegen eingeladen waren. Als ich in der großen Runde saß, die Reden zur Würdigung des Jubilars hörte und viele Erlebnisse und Anekdoten erzählt wurden, kam mir der Gedanke, dass ein so erlebnisreiches Leben überliefert werden sollte, und zwar als Buch. Ich fragte meinen Vater also, was er von der Idee hielte, sein Leben niederzuschreiben und das Ergebnis zu publizieren. Zunächst lehnte er den Gedanken, den ich eher als Vorschlag denn als bloße Idee formuliert hatte, rundweg ab mit dem Verweis, dass seine Lebenserinnerungen doch keinen interessierten. Ich widersprach und wies darauf hin, dass seine Erinnerungen zumindest seine Familie, insbesondere seine Kinder und Enkel, als Leser fände, dass sein Leben darüber hinaus erlebnis- und abwechslungsreich genug sei, um auch das Interesse anderer Leserkreise zu wecken. Ich konnte ihn schließlich ein paar Monate später überzeugen und mein Vater ging das Vorhaben an, wie er alles im Leben tat - sofort und gründlich. Er kaufte sich bei einem großen Discounter ein Notebook, das immer noch tadellos funktioniert, und begann, seine Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Das erste Notebook wurde im Lauf der Zeit durch ein neueres Modell desselben Herstellers ersetzt, später kam, der Handlichkeit wegen, ein Netbook dazu.

Als mein Vater in der Nacht vom 25. zum 26. Mai 2011 verstarb, hinterließ er seine Lebenserinnerungen als drei umfangreiche Textfragmente. Entstanden ist ein Buch, das ein bewegtes Leben in vier deutschen Staaten schildert und - als wahrscheinlich eines der letzten, authentischen Zeitzeugnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs - die deutsche Gesichte des Zwanzigsten Jahrhunderts exemplarisch reflektiert. Zugleich schildert es ein Leben, als dessen herausragende Eigenschaft ich in der Trauerrede zitierte, was Erich Maria Remarque den Protagonisten des Romans "Liebe Deinen Nächsten" sagen lässt: "Heiterkeit, die gelassene Tochter der Toleranz - sie ist unserer Zeit verlorengegangen. Es gehört zu vieles dazu - Wissen, Überlegenheit, Bescheidenheit und die ruhige Resignation vor dem Unmöglichen." Genau diese Geisteshaltung zeichnete meinen Vater aus, wobei anzumerken ist, dass Remarque den Begriff Toleranz in seiner ursprünglichen Bedeutung verstand, nämlich - dem lateinischen tolerantia entlehnt - als, aus großmütiger Geisteshaltung resultierende, Geduld und Duldsamkeit, die - wohlverstanden und reflektiert - diese Heiterkeit als Lebenshaltung nach sich zieht.

Ich weiß nicht, ob sich jemals irgendwer die Mühe machte nachzurechnen, wie viele Regalmeter Biografien und Memoirenliteratur es gibt, es dürften eher Kilometer sein. In den allermeisten dieser Bücher schildern mehr oder minder bedeutende Persönlichkeiten und etliche Zeitgenossen, die sich für solche halten, ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Einfluss auf die Weltgeschichte. Auf das hier vorliegende Buch trifft das, gleichwohl es in die Kategorie der Memoirenliteratur gehört, nicht zu. Hier schildert ein Mensch aus einfachen Verhältnissen auf persönliche und glaubhafte Weise sein lebenslanges Bemühen, in den Wirren der Zeit ein aufrechtes, ehrliches und erfülltes Leben zu führen. Das Buch zeigt, dass ihm dies gelang.